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die stellen die mit gelber stelle markiert sind, sind die städte wo aleviten wohnen (die meisten) ![]() Der Glaube der AlevitenDas Alevitentum hat sich aus der islamischen Schia entwickelt und hat zudem sehr viele Elemente aus den verschiedensten vorislamischen Religionen Mesopotamiens sowie aus dem Sufismus (islamische Mystik) in sich vereint. Von manchen Anhängern wird sie als eine eigenständige synkretistische Religion aufgefasst, wobei der Mensch im Mittelpunkt dieser Glaubensauffassung gestellt wird. Der alevitische Glaube ist besonders durch die Erinnerung an die Massaker geprägt, die an den Schiiten und Aleviten während der Alleinherrschaften sunnitischer Machteliten verübt wurden. Das Martyrium des 3. Imam, Hussein ibn Ali, bildet bei Schiiten und Aleviten den gemeinsamen zentralen Punkt, um den sich ihr kollektives Trauerbewusstsein konzentriert.Unter den meisten sunnitischen Türken gilt die Religionsgruppe der Aleviten als islamische Glaubensrichtung und ist deshalb in der offiziellen Zahl von 99,8 % Muslimen enthalten, wobei aber auch ein beträchtlicher Teil der Sunniten kaum eine relevante Vorstellung von den Aleviten und ihren Ritualen besitzt, da der türkische Staat lange Zeit die Existenz der Aleviten nicht anerkannte und die Kinder alevitischer Eltern in den Schulen gezwungen wurden, im Schulunterricht einzig den sunnitischen Glauben zu lernen. Diese Unkenntnis und bewusste Ausgrenzung und Assimilierungszwang der Aleviten seitens des Staates hatte seine Wurzeln im Osmanischen Reich und führte dazu, dass latente Vorurteile gegen die Aleviten aufrechterhalten wurden, die erst seit dem Massaker von Sivas am 2. Juli 1993 begannen, sich ihrer kulturell-religiösen Identiät und Gefährdung bewusst zu werden und weltweit zu organisieren. Aleviten gehen mit religiösen Vorschriften, die für orthodoxe Muslime als Pflicht und Voraussetzung gelten, dialektischer um. Nach alevitischem Verständnis ist die Sharia bzw. die Oberfläche, das Offensichtliche in der Religion überwunden, da das Alevitentum die Mystik als Fundament hat. Dennoch gibt es in der alevitischen Theologie vier "Tore", von denen die erste die Sharia darstellt. Die Aleviten lehnen generell eine dogmatische Religionsauslegung ab und das Ritualgebet (Salat) wird nicht in der konventionellen Form der Schiiten oder Sunniten verrichtet. Ausserhalb des alevitischen Gottesdienstes (Cem) benötigt man für das Gebet keinen speziellen Raum oder eine spezielle Zeit. Viele Aleviten beten wann und wo sie wollen und auf eine Art, die ihnen persönlich entspricht, da sie glauben, der innere Bezug des Individuums zu Gott sei der einzig wahre, ohne einen normativen Rahmen hierfür zu benötigen. Wie die Schiiten halten sich die Aleviten an die Lehren der Imame, besonders die des 6. Imams (Dschafar ibn Muhammad as-Sadiq), lehnen aber im Gegensatz zu den Schiiten die Schari'a ab. Die Philosophie des Alevitentums kann in gewisser Weise dem Pantheismus zugeordnet werden, denn sie glauben, dass jedem Menschen die Wahrheit (das Göttliche) innewohne. Der heutige Glaube der Aleviten ist stark vom Humanismus und Universalismus bestimmt. Im Zentrum ihres Glaubens steht daher der Mensch als eigenverantwortliches Wesen. Wichtig ist ihnen das Verhältnis zum Mitmenschen. Die Frage nach dem Tod und den Jenseitsvorstellungen ist demgegenüber für sie nebensächlich. In der alevitischen Lehre ist die Seele eines jeden Menschen unsterblich, sie strebt durch die Erleuchtung die Vollkommenheit mit Gott an. Diese liberalen Auffassungen, vor allem die Ablehnung der Schari'a, unterscheiden Aleviten von den Sunniten. Darum haben viele Sunniten, vor allem die meisten islamischen Gelehrten, Vorurteile gegenüber Aleviten und betrachten sie meist nicht als Muslime. Das Alevitentum beinhaltet ebenfalls relevante Elemente aus dem Zoroastrismus. "Rechtes Handeln, rechtes Denken, rechtes Sprechen" - dies sind Worte aus dem Zoroastrismus, doch werden sie so auch im Koran erwähnt. Die vier heiligen Elemente bei den Aleviten (Feuer, Wasser, Erde, Luft) entstammen ebenfalls aus der Lehre des Zoroastrismus, jedoch sind diese Elemente auch bei den nicht-zoroastrischen Völkern Zentralasiens vorhanden. Die Hauptquellen des Alevitentums sind nicht allein der "Große Buyruk" von Imam Dschafar ibn Muhammad as-Sadiq, wie häufig angenommen, sondern auch unzählige religiöse Gedichte und Lieder (Deyis, Beyt, Duaz-i Imam). Aleviten waren aufgrund ihrer Verfolgung und Unterdrückung gezwungen, ihre Glaubensinhalte mündlich durch Lieder und Gedichte zu tradieren. Die Symbiose aus verschiedensten religiösen und mystischen Strömungen macht verständlich, dass die Aleviten zwar im Islam ihren Ursprung sehen, jedoch nicht den allseits anerkannten islamischen Gruppierungen zugerechnet werden wollen. Der Alevitische Glaubensdienst: "Cem"Viele Aleviten beten nicht in einer Moschee, sondern treffen sich zu Kulthandlungen, genannt Cem, in einem Cemevi (Versammlungshaus) zur Rezitation von Gedichten und zum rituellen Tanz (Semah). Dieser wird von Frauen und Männern gleichzeitig und gleichberechtigt ausgeführt und dabei vom Dede (»Großvater«), gleichzusehen wie ein Imam, oder von der Ana (»Großmutter«), beaufsichtigt. Dedes und Anas sind Personen, die sich mit den alevitischen Ritualen und Traditionen sehr gut auskennen und ein hohes Maß an Wissen besitzen, welches ihre geistige und menschliche Kompetenz auszeichnet.Sie genießen ein hohes Ansehen unter den Aleviten. Während der Cem in den dörflichen alevitischen Gemeinschaften vor der zunehmenden Abwanderung weiter Teile der alevitischen Bevölkerung Ostanatoliens in den Westen der Türkei unregelmäßig stattfand, nämlich immer dann, wenn ein Dede ins Dorf kam, erlebte das alevitische Kongregationsritual im Zuge der zunehmenden Urbanisierung des Alevitentums, die sich seit mehreren Jahrzehnten beschleunigt vollzieht, eine gewisse Umgestaltung, die von manchen Beobachtern zum Teil auch mit einer Sunnitisierung des Alevitentums in Verbindung gebracht wird: Der Cem wird nun in von alevitischen Vereinigungen und Kulturvereinen zur Verfügung gestellten Versammlungshäusern in regelmäßigen, oftmals wöchentlichen Zyklen abgehalten; aus den Dörfern mitgebrachte heterogene Ritualelemente werden dabei vereinheitlicht. Auf diesem Wege ist der Cem in den letzten Jahren zu einem prominenten Mittel der bewussten Neubestimmung der alevitischen Identität in der Türkei geworden, die sich seit dem Militärputsch von 1980, in dessen Folgezeit ein gewisses Wiedererstarken sunnitischer politisch-religiöser Kräfte verzeichnet werden konnte, in einem konstanten Prozess der kulturellen, religiösen und geschichtlichen Wiederentdeckung und Neuverortung befindet. Der Semah symbolisiert das Universum (Evren) mit den Planeten des Sonnensystems und der Galaxie. Er wird daher im Kreis getanzt, wobei die Semah-Tänzer sich wie Planeten sowohl um ihre eigene Achse, als auch um die Kreismitte drehen. Seit dem 12. Jahrhundert, vielleicht auch schon früher, diente dieser heilige Tanz zur geistigen Annäherung an Allah. Darum sollte er nach alevitischer Auffassung nicht öffentlich vorgeführt werden. Männer und Frauen sind gleichgestellt. Die Verschleierung der Frau ist bei Aleviten nicht vorgeschrieben. In diesem Punkt herrscht kein Dogma, durch das die Bedeckung des Hauptes der Frau vorgeschrieben würde. Dies hat aber weniger mit der alevitischen Religion als vielmehr mit den gesellschaftlichen Wertvorstellungen der Aleviten und Türken bzw. Türkischstämmigen zu tun, die dennoch in einer tendenziell traditionell patriarchalen Gesellschaft aufwachsen. So sagt ein Gedicht: Adımız miskindir bizim Düşmanımız kindir bizim Biz kimseye kin tutmayız Kamu alem birdir bizim. Unser Name ist Bescheidenheit, Unser Feind ist der Hass Wir hassen niemanden Die ganze Welt ist für uns eins. Die Bedeutung der Musik im AlevitentumDie Musik besitzt im Alevitentum eine überaus wichtige Funktion. Eine Cem-Zeremonie ohne Musik ist unvorstellbar und für die Ausübung der religiösen Pflichten unverzichtbar, so z. B. der Semah-Tanz. Für viele Aleviten gilt das Instrument „Baglama“ als eine göttliche Offenbarung. Ohne dieses Instrument hätte das Alevitentum womöglich eine fundamental andere Entwicklung eingeschlagen.Musik schafft eine hypnotische Atmosphäre, durch sie kann das Individuum einen spirituellen Einblick, eine Erkenntnis erlangen. Nicht nur die „Dedes“ (alevitische Geistliche) inspirieren ihre Gemeinde durch vorgetragene Lieder, sondern ebenso der „Asik“ (auch Zakir genannt) und „Ozan“ (Volksmusiker). Asik heißt soviel wie "der vorbehaltlos Liebende" und ist eine Bezeichnung, die die Beziehung des Musikers zu Gott zum Ausdruck bringt. Mit ihren teilweise religiösen Textinhalten und Klängen über Ali, Schah Ismail, Pir Sultan Abdal etc. drücken sie ihre Sehnsucht nach einer besseren Welt aus, teilen mit anderen das Leid, das sie durch die Staatsmacht erleiden mussten oder müssen, und können den alevitischen Glauben an die nächste Generation mündlich weitervermitteln. Viele ihrer Lieder scheinen die Sorgen der Aleviten widerzuspiegeln. Im Augenblick des Zuhörens vereinen sich Mensch und Musik. Gerne hören sich ältere Aleviten im geselligen Kreis die traurigen Lieder an und weinen gemeinsam. Dieses kollektive Trauern ist eine typisch alevitische Bewältigung ihrer Situation und eint die Menschen, es führt zur Transzendenz. Der "Asik" (arab. aschiq, "der Liebende") von heute singt und spielt mit seinem Instrument Baglama nicht mehr wie früher auf dem Dorfplatz, sondern ist vielmehr in Musikcafés anzutreffen. Es ist die alevitische Musik, die die Gemeinschaft im Ganzen zusammenhält, ihr ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt und dem Individuum zur Identitätsbildung verhilft. Die Musik verleiht dem Alevitentum eine gewisse Mystik, aus der viele Aleviten ihre Kraft schöpfen. Erkennungszeichen der AlevitenÄhnlich wie schiitische Glaubensgemeinschaften tragen auch viele Aleviten Ketten mit einem gebogenen Schwert (Zülfikar) als Anhänger. Damit zeigen sie ihre Anerkennung und Ehrfurcht gegenüber Ali ibn Abu Talib, dem man den Besitz eines gebogenen Schwertes mit Doppelspitze nachsagt. Sie machen so gerne auf sich aufmerksam, doch in der Türkei wird dies aufgrund der strikten Trennung von Staat und Religion nicht geduldet.Diese Anhänger sind eher eine neue Erscheinung im Alevitentum. Ältere Aleviten kennen dies aus ihrer Jugend meist nicht. Als Angehörige einer unterdrückten Gemeinschaft war es nicht üblich, sich offen zu erkennen zu geben. Alljährlich findet vom 16.-18. August Haci-Bektas Veli zu Ehren ein Festival statt. Wichtige Vertreter aus Politik und Kultur präsentieren sich gerne dabei als Fürsprecher der alevitischen Kultur. Aus der ganzen Türkei reisen unzählige Pilger an, feiern und opfern gemeinsam mit ihren Glaubensgenossen. Zu jenen Tagen wird aus dem kleinen Ort Hacibektas ein Wallfahrtsort mit mehr als 100.000 Besuchern. |
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